Thermische Explosionen

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den thermischen Gefahren chemischer Prozesse, die zu einer „thermischen Explosion“ führen können und in der Vergangenheit weltweit bereits zu schweren Unglücken geführt haben.

Als chemische Prozesse werden neben dem eigentlichen Prozess der Stoffumwandlung auch Vorbereitungsschritte wie Mahlen, Mischen und Aufschmelzen von Feststoffen, Aufarbeitungsschritte wie Destillation und Trocknung, der innerbetriebliche Transport mittels Pumpen und Leitungen und die Lagerung von Stoffen und Gemischen betrachtet.

Thermische Gefahren, die zu einem Explosionsgeschehen führen können, sind unkontrolliert ablaufende, wärmeabgebende (exotherme) chemische Reaktionen.

Chemische Reaktionen, ob kontrolliert (Produktion) oder unkontrolliert (Stoffverwechselungen, Nebenreaktionen) ausgelöst, verlaufen meist exotherm, d. h. es wird bestimmungsgemäß während des Reaktionsschrittes Wärme freigesetzt. Diese muss an die Umgebung abgeführt werden, um eine Selbsterwärmung des Reaktionsgemisches zu vermeiden. Wird die freiwerdende Reaktions- oder Zersetzungswärme nicht schnell genug kontrolliert abgeführt, heizt sich das Reaktionsgemisch auf, wobei sich die Reaktionsgeschwindigkeit bei einer Temperaturerhöhung von nur 10 °C in erster Näherung verdoppelt bis verdreifacht. Die Wärmeproduktion wächst in der Regel exponentiell mit der Temperatur.

Mit der immer schneller ablaufenden Reaktion besteht die Gefahr, dass die Auslegungsgrenzen von Anlageteilen durch Temperatur- und Druckanstieg überschritten werden und es zu einer unkontrollierten Freisetzung der Inhaltsstoffe, ggf. sogar zum Bersten des Apparates kommt.

Dieser Vorgang wird als durchgehende Reaktion, „Runaway Reaction“ oder thermische Explosion bezeichnet.
Um die Auswirkungen einer thermischen Explosion abschätzen zu können, bietet sich ein Vergleich von Wärme- und Gasexplosionen an.

WärmeexplosionGasexplosion
Reaktionswärme (beispielsweise)200 J/g (Lösungs-polymerisation)J/g (Zersetzung einer Nitroverbindung)2.000 J/g (stöchiometrisches Kohlenwasserstoff/ Luftgemisch)
Adiabatische Temperaturerhöhung100 K500 K2.000 K
Relative DruckerhöhungBis 10~ 10008 bis 10

Wie in der oben stehenden Tabelle dargestellt, können die zu erwartenden Maximaldrücke, die bei thermischen Explosionen entstehen können, die von Gasexplosionen um ein Vielfaches übertreffen.


Durchgehende Reaktionen

Die größte Gefahr im Zusammenhang mit exothermen Reaktionen geht von dem Verlust der Temperaturkontrolle aus. Dies kann mit dem Ausfall der Kühlung, der nicht schnell genug ablaufenden Entfernung der Wärme aus dem Reaktor, einer unvollständigen Durchmischung der Reaktionspartner oder dem Ausfall der elektrischen Energieversorgung der Anlage zusammenhängen.

Die Chemiekatastrophe von Seveso im Jahr 1976 in Italien ist so ein Bespiel für eine durchgehende Reaktion. Ein Rührwerk in einem Reaktor wurde zu früh und bei zu hoher Gemischtemperatur abgestellt und aufgrund der fehlenden Durchmischung des Reaktorinhalts kam es zu einem Wärmestau innerhalb des Reaktors. Die chemische Reaktion begann zunächst langsam und dann mit einem schnellem Druck- und Temperaturanstieg und endete schließlich in einer Explosion („Runaway Reaction“). Ein Sicherheitsventil löste infolge des entstandenen Überdrucks aus und der Reaktorinhalt entlud sich über ein Abblasrohr in die Umwelt. Dabei wurde eine unbekannte Menge 2, 3, 7, 8-Tetrachlordibenzodioxin – auch „Dioxin“ genannt – mit den, mittlerweile bekannten Folgen für Mensch und Umwelt, unkontrolliert in die Umgebung freigesetzt.

Weitere Ursachen für eine durchgehende Reaktion können die Verwechslung von Einsatzstoffen, durch die es zu anderen, unkontrollierten, weitaus gefährlicheren Reaktionen kommen kann, oder der versehentliche Katalysatoreintrag in Lagergut oder Feststoffgemische sein. Beispiele für solche Stoffverwechselungen waren in der Vergangenheit die Verwechslung von Natriumchlorid mit Natriumchlorat oder die unbeabsichtigte Vermischung von Härter und Harz in einem Lagertank eines Kunstharzbetriebes.

Bei der Chemiekatastrophe 1984 in einem Werk der Union Carbide Corporation im indischen Bhopal führte das versehentliche Eindringen von Wasser in einen, mit Methylisocyanat gefüllten, Tank zu einer unkontrollierten, exothermen Reaktion, bei der so viel gasförmiges Kohlenstoffdioxid (CO2) gebildet wurde, dass ca. 25 bis 40 Tonnen Methylisocyanat und andere Reaktionsprodukte innerhalb von 2 Stunden unkontrolliert in die Umgebung abgeblasen wurden. Schätzungen der Opferzahlen reichen von 3.800 bis 25.000 Toten durch den direkten Kontakt mit der Gaswolke sowie bis zu 500.000 Verletzten, die mitunter bis heute, unter den Folgen des Unfalls leiden.

Vorsicht ist auch geboten, wenn mit Stoffen oder Stoffgemischen umgegangen wird, die sich bei z. B. beim Destillieren oder Trocknen zersetzen können oder thermisch instabil sind (Peroxide).

Ein weiteres Beispiel für die Zerstörungskraft einer thermischen Explosion aufgrund einer durchgehenden Reaktion ist die Explosion eines Reaktors in einem chemischen Betrieb in der Nähe von Pirna 2014.

Bei der Explosion in einer Chemiefabrik ist ein Mensch ums Leben gekommen und vier weitere Arbeiter erlitten Brandverletzungen und Knochenbrüche. Nach der Explosion brach ein Feuer aus. Die Unglücksursache war zunächst vollkommen offen, aber nach Aussage des Betriebsleiters hat ein Reaktor für chemische Produkte durchgezündet. Die Wucht der Explosion hat massive Schäden verursacht.

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